Mit dem Ernteprojekt „Gelbes Band“ gewann der Landkreis Esslingen 2020 den „Zu gut für die Tonne!“ – Bundespreis in der Kategorie Landwirtschaft & Produktion und inspirierte viele weitere Gemeinden in ganz Deutschland, sich der Aktion anzuschließen. In vielen Tageszeitungen wird die Aktion als Akt gegen Lebensmittelverschwendung gefeiert. Auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unterstützt die Aktion.

Wir nicht.
Wir haben das Thema ausgiebig diskutiert und sind mehrheitlich zu dem Schluss gekommen, dass das gelbe Band nicht nur zu kurz greift, sondern sogar schädlich sein kann.

Warum sind wir dagegen?
Die Grundidee des gelben Bandes ist es, Obstbaumbesitzerinnen mit Verbrauchern zu verbinden und den Blick auf regionales und saisonal verfügbares Obst zu lenken. Die Begründung: „Durch das eigene Abernten und Auflesen des Obstes bekommen die Verbraucherinnen und Verbraucher einen direkten Bezug zu diesen Lebensmitteln und werden für einen bewussteren, wertschätzenden Umgang mit Lebensmitteln sensibilisiert.“ Das ist einerseits richtig und wichtig. Aber der Fokus auf die Ernte greift zu kurz. Die Arbeit, die bis dahin zu tun ist, wird völlig ausgeblendet. Bevor auch nur ein Apfel geerntet werden kann, muss ein Baum gekauft, gepflanzt und durch den richtigen Baumschnitt erzogen werden. Die Baumscheibe wird freigehalten, der Stammschutz kontrolliert und erneuert. In trockenen Sommern muss Wasser auf die Wiese gefahren werden. Die Wiese wird gemäht, das Mähgut im Idealfall sogar abgetragen und verwertet oder entsorgt. Erst nach mehreren Jahren Arbeit reift der erste Apfel heran.

Kollateralschäden
Auch wenn alle Aktionen und Plattformen darauf hinweisen, dass die Ernteaktion nur für Bäume gilt, die das gelbe Band tragen, führt es dennoch immer wieder dazu, dass auch umliegende Bäume abgeerntet werden. Und nicht jeder Erntewillige weiß, wie man richtig erntet. Da werden Äste abgerissen, Obst zu früh geschüttelt, Bäume beschädigt. Mittlerweile gibt es Gebiete, in denen man Schilder an jedem einzelnen Baum anbringen muss, damit sie – hoffentlich – in Ruhe gelassen werden.

Haftung
Wer ist verantwortlich, wenn sich jemand bei der Gratisernte verletzt? Auf der Website des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft heißt es ausdrücklich, dass die Verkehrssicherungspflicht dem Obstbesitzer obliegt: „Das bedeutet, Sie müssen Gefahrenquellen ausschließen, die durch Astbruch, Stolperfallen o.ä. entstehen könnten, um Schäden anderer zu verhindern. Ihre Haftung können Sie nicht durch einen Hinweis wie ‚Ernten auf eigene Gefahr‘ o.ä. ausschließen. Bevor Sie ein gelbes Band anbringen, sollten Sie daher mit Ihrer Haftpflichtversicherung abklären, ob ein ausreichender Versicherungsschutz besteht. Die Teilnahme an der Aktion erfolgt auf eigene Verantwortung der Obstbaumbesitzerinnen und -besitzer. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft übernimmt keinerlei Haftung.“

Gratismentalität
Was wird der Bevölkerung vermittelt? Dass Obst kostenlos auf den Bäumen wächst, und wer sein Obst nicht erntet, ein fauler Hund ist. Dabei gibt es Apfel- und Birnensorten, die erst nachdem sie gefallen sind, die volle Qualität entfalten und daher absichtlich liegen bleiben.

Cui bono?
Wem nützt die Aktion? Bei einzelnen Bäumen bleibt das Obst nicht mehr liegen. Einen gewissen positiven Effekt hat das Ernten des Obstes zumindest, weil der potenzielle Befallsdruck durch Schädlinge oder die Wühltätigkeit durch Wildschweine reduziert werden kann sowie der Wiese Nährstoffe entzogen werden, was für die Artenvielfalt in der Blumenwiese förderlich ist. Aber kein einziger dieser Bäume wird fortan gepflegt werden, keine Wiese gemäht. Die Bäume vergreisen und sterben früher oder später ab. Außer dem Obst ist nichts gewonnen.

Gibt es Alternativen?
Die Aktion „gelbes Band“ soll Lebensmittelverschwendung verhindern und für die Nutzung von Streuobstwiesen sensibilisieren. Dafür gibt es aus unserer Sicht aber viel bessere Möglichkeiten:

Übrigens
Die Natur selbst lässt nichts verkommen. Das Obst, das auf dem Boden liegt, wird von Tieren gefressen oder von Mikroorganismen zersetzt. Alles wird verwertet.

Trotzdem
Wer selber Bäume hat, nicht zum Ernten kommt und das „gelbe Band“ für eine gute Idee hält, soll das gerne machen. Wie’s geht, steht hier.